2. Teil: Natural Horsemanship – Arbeitsablauf

2. Teil: Natural Horsemanship – Arbeitsablauf

Start in den Tag mit einem Kikeriki

Gleich am nächsten Tag ging Judith mit uns auf die Koppel. Jeden Morgen werden die Pferde kurz auf den gesundheitlichen Zustand geprüft. Wir waren mitten in der Herde und ich fühlte mich etwas unsicher. Die Pferde nehmen das wahr und spiegeln die eigenen Emotionen. Diese Unsicherheit kann auch ein Risikofaktor für mich und die Pferde sein. Ich durfte vorerst nicht mehr zu den Pferden bis ich mehr über den besonderen Umgang mit ihnen gelernt und mehr Vertrauen gefasst habe.

Mit einem kräftigen Kikeriki begann jeder Morgen. Arbeitsbeginn war immer um 8.15 Uhr. Als erstes wurde der Hahn versorgt und aus dem Käfig gelassen. Danach reinigte ich das Gelände vom Hundekot. Ich durfte mit dem Truck die Wasserbehälter transportieren und zur Koppel fahren und das Wasser auffüllen. Zusätzlich zur Farmarbeit hatte ich noch ab und zu Küchendienst. Ich bereitete den Salat zu, deckte den Tisch und half beim Abwasch.

Zu der Ranch gehört noch ein Gästehaus und die Gäste wollen natürlich auch verpflegt werden. Auch der Acker sollte bearbeitet werden. Im Team machten wir einen Plan welches Gemüse und Kräuter gut zusammen passen und dann pflanzten die Samen ein. Mit dem Wasserschlauch und Gießkanne gossen wir zwei mal täglich die Saat. Wir brachten Heu mit der Schubkarre zum Feld. Dann bedeckten wir die Samen mit dem Heu, um sie vor dem Wind zu schützen.

Der Hausmeister Will brachte frischen Mist mit dem Traktor, den wir dann auf die Beete verteilten. Diese Arbeit war für mich sehr anstrengend. Zudem wurde es mit über 35 Grad richtig heiß. Normalerweise arbeite ich in Deutschland den ganzen Tag im Büro am Schreibtisch und bin die körperliche Arbeit nicht gewohnt. Wenn man aber zumindest etwas fit ist, dann ist die Arbeit kein Problem. Ich arbeite immer mit Chris zusammen, dem einzigen Kanadier auf der Farm. Wir beide waren für 4 Wochen hier und sind zur gleichen Zeit angekommen. Wir haben weder von Rancharbeit, noch von Pferden eine Ahnung. Daher waren die ersten Tage besonders erheiternd. Man stelle sich zwei Hochschulabsolventen mit der Mistgabel vor. Wir waren jeden Morgen auf der Suche nach Hundekot, um den Hof sauber zu halten. Nach ein paar Tagen wussten wir genau, wo ihre beliebten Hotspots waren.

Auch die Freizeitaktivitäten kamen nicht zu kurz!

Einmal in der Woche bekamen Chris und ich eine Reitstunde. Wir holten die Pferde von der Koppel, striegelten sie, kratzten die Hufen aus und sattelten sie. Meine erste Reitstunde hatte ich bei Judith. Im Round Pen ritt ich ohne Longe und führte das Pferd selbständig. Ich versuchte dem Pferd Jacky zu zeigen, dass ich der Leader bin. Jacky sah das anders. Nun hieß es Ruhe bewahren und keine Angst zu zeigen. Es lief gut und machte Spaß. Nur den Respekt vor Pferden möchte ich nie verlieren. Außerdem hatten wir noch theoretischen Unterricht. Nun verstehe ich die Pferde etwas besser. Mein absolutes Highlight auf der Ranch war der Trail Ride. Dabei saß ich auf einem Pferd, dass von einem Pferdetrainer am Führstrick begleitet wurde. Ich ritt über Wiesen und Wälder.

Jeden Nachmittag wurde die Pferde trainiert. Es gab zwei Problempferde. Sie wurden von den Besitzern misshandelt. Die Pferdetrainer kümmern sich auf sanfte Weise um sie, damit sie wieder geritten werden können. Sie kommen nach dem Training in neue Hände. Ich sehe mit eigenen Augen, welche Fortschritte sie machten. Beim Training im Round Pen kann man immer zu schauen und Judith erklärte uns ein paar Dinge.

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Zusätzlich durfte ich nun fast jeden Morgen mit der Pferdetrainerin zu den kranken und alten Pferden. Ein paar von ihnen werden medizinisch versorgt. Manchmal ging ich mit einem Pferd spazieren. Sie sollen wieder langsam an die Belastung gewöhnt werden. Hier auf der Ranch genieße ich die Stille. Natur pur. Es weht immer eine leichte Brise bis hin zum starken Wind. Ich merke wie sich meine Gesichtszüge entspannen, wenn ich in die unendliche Weite blicke. Es ist ein Stück heile Welt. Türen und Tore stehen immer offen und ich habe mich selten so sicher gefühlt.

In der ersten Woche gab es eine Willkommens-Grillparty für Chris und mich. Zuvor hatten die Mädels eine Kuh vom Hof geschlachtet. Das Fleisch war sehr lecker und gesund. Wenn ich die Kuh vorher gesehen hätte, dann hätte ich sie wahrscheinlich nicht essen können. Auf der Ranch wird vegan gekocht. Es schmeckt gut. Will und ich sind die einzigen Fleischesser. Auf Wunsch darf ich auch Fleisch zu den Gerichten essen. Das Team ißt vegan und die Gäste können essen was sie möchten. Auf der Party wurde Gitarre gespielt und wir sangen Lieder. Zum Abschluss ließen wir noch eine Wunschlaterne in den Himmel steigen. Das war ein schöner Ausklang.

Nachmittags hatte ich immer frei und es gab einen freien Tag pro Woche. In meiner Freizeit schrieb ich an meinem Blog, hörte Musik, beschäftigte mich mit den Tieren, meditierte oder praktizierte Yoga. Ukulele lernte ich von Chris spielen. Dafür brachte ich ihm Deutsch bei. Außerdem lernte ich Brot backen. Ich gab mir besonders große Mühe und war richtig stolz auf mein Kunstwerk. Das vegane Brot hatte allen zum Frühstück geschmeckt.

An einem freien Tag machten ich mit Chris eine Kanutour. Die Ranch ist umgeben von schönen Seen. Vom See aus sahen wir viele Wildvögel und Biber. Manchmal machte ich ein kleines Nickerchen mit der Katze Lizzy. Sie ist ganz besonders verschmust und legt großen Wert auf Körperpflege. Nachdem sie sich putzte, war ich an der Reihe. Einmal hatte ich sie bei mir übernachten lassen und das war auch das letzte Mal. Sie schläft sich nämlich den ganzen Tag aus, damit sie in der Nacht fit ist. Sie prüfte alle paar Stunden an meiner Nase, ob ich noch atmete. Das ich so leblos rumlag passte sicherlich nicht in ihren Spielplan. Lizzy bekommt besondere Aufmerksamkeit von mir, denn sie wird von den anderen zwei Katzen verstoßen.

Ich besuchte jeden Tag mein Lieblingspferd Saphira auf der Koppel. Es ist schwarz und hat einen kleinen weißen Fleck am Auge. Sie lahmte und ich gab ihr ein paar Streicheleinheiten. Außerdem hatte ich sie als Top-Model auserwählt. Sie durfte an einem exklusiven Fotoshooting mit mir teilnehmen. Judith ist die Besitzerin der Ranch in Manitoba. Sie ist als Deutsche vor ein paar Jahren ausgewandert und führt die Ranch in eigener Hand. Sie trägt die ganze Verantwortung für ihre Mitarbeiter, Gäste und Tiere. Judith ist eine ausgebildete Pferdepsychologin und betreut Problempferde. Vorher war sie 20 Jahre Fallschirmspringerin sowie mehrfach deutsche Meisterin, Europameisterin und Vize-Weltmeisterin im Skysurfen. Für mich gehört sie zu den Power-Frauen Kanadas. Ich kenne nur wenige Menschen, die sich über kleine Dinge so herzlich freuen können. Außerdem ist sie sehr tierlieb.

Unser Hausmeister William ist aus den Niederlanden. Sein Herz schlägt aber für Nordamerika. Er lebte mehrere Jahre als Cowboy und leitete eine Gästefarm in Kansas, USA. Seit ein paar Monaten ist er hier auf der Ranch in Manitoba. Er ist ein waschechter Cowboy, lächelt viel und hat immer einen klugen Rat parat. Will hat ein besonderes Talent für alle handwerklichen und künstlerischen Tätigkeiten. Er stellt seit über 42 Jahren wunderschöne Sattel und andere Kunstwerke aus Leder her. Mit seinen Verzierungen gibt er den Ledermaterialien eine besondere individuelle Note.

Ich hatte inzwischen mein eigenes Zimmer bezogen. Will hatte in der Scheune ein ganz kleines Zimmer aus Holz mit ein paar Ablagen und einem Hochbett gebaut. Ich schlief oben, denn von hier aus hatte ich einen tollen Blick auf die Koppel. Ich fühlte mich sehr wohl in meinem eigenen kleinen Reich. In den Wäldern leben unter anderem Schwarzbären, Bisons, Rehe, Biber, Wölfe und Kojoten. An einem Nachmittag hatte ich die Wölfe heulen gehört und der Husky Nanuk antwortete entsprechend. Auf dem Hof gibt es auch Schlangen, die sind aber harmlos. Ich erschrecke mich trotzdem immer, wenn ich sie sehe. Schlimmer finde ich eigentlich die Zecken. Zum dritten Teil geht es hier: 3. Teil: Natural Horsemanship

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